Lebenslauf von Maria Rosa Coccia
Maria Rosa Coccia wurde am 4. Juni 1759 in Rom geboren. Ihre Eltern stammten beide aus der Nähe Roms, die Mutter Maria Angiola Luzi aus Castel Gandolfo, der Vater Antonio Coccia, ein Apotheker, aus Velletri. Mit acht Jahren zeigt sich bei ihr eine so große Musikalität, die sich im Singen - "solfeggiare all' improvviso", einer kunstvollen, textlosen Gesangstechnik ausdrückt, sowie eine staunenswerte Fertigkeit im Umgang mit dem Notensystem - "tutte le chiavi musicali giunse a conoscere"-, dass der Vater für einen Musiklehrer sorgt, bei dem das Kind Unterricht in Cembalo und Gesang bekommt. Ihre Fortschritte sind so immens, dass der Lehrer ihr bald nichts mehr beibringen kann, so wird berichtet. Dabei ist die Rede von achtstündigem Üben des Kindes. Einige Jahre später bekommt sie einen neuen Lehrer, Sante Pesci, Kapellmeister an der großen Basilika S. Maria Maggiore. Mit ihm absolviert sie ein mehrjähriges Studium des Kontrapunktes, indem sie z.B. jeden Tag innerhalb zwei Stunden eine Fuge komponiert. Diese Ausbildung währt bis zum Alter von 15 Jahren. Als 1770 der 14jährige Mozart in Rom Aufsehen erregte, wird ihr das nicht verborgen geblieben sein, so jung (10 Jahre) sie auch noch war. Bald darauf wird sie selbst, 13jährig, als Wunderkind gefeiert, bei der Aufführung des von ihr komponierten Oratoriums Daniello nel Lago dei Leoni in der berühmten Kirche S. Maria in Vallicella (Rom), laut zeitgenössischem Bericht "tutto applaudito dal numeroso uditorio... di nobilità e di persone civili" . Im selben Jahr kommt noch die Kantate (nach anderem Bericht: Oper) L'isola disabitata von ihr zur Aufführung, deren Text "del gran Metastasio" stammte. Mit ihren Kompositionen, mit ihrer Art, Cembalo zu spielen, mit ihrer Begabung, aus dem Stegreif zu improvisieren und prima-vista zu modulieren und zu begleiten, erntet sie in kirchlichen und Aristokratenkreisen höchsten Beifall. Mit akademischen Auszeichnungen wird sie in der folgenden Zeit geradezu überhäuft. Als 15jährige besteht sie glanzvoll ein Examen (Diplom) an der Accademia S. Cecilia mit der 4-stimmigen, äußerst kunstvollen kontrapunktischen Ausarbeitung der Antiphon Hic vir despiciens mundum. Darüber hinaus erhält sie von den "Signori Virtuosi di Musica" das "Patente Spedita" als Kapellmeisterin. Römische Dichter feiern sie in einem Gedichtband, in dem sie "Musicae Artis Laurea Solemni Ritu Exornatam" genannt wird; ihre Examensarbeit ist darin veröffentlicht. Die Begeisterung in Rom für die Komponistin ist umso erstaunlicher, als die Kirche hier besonders streng gegen Musikerinnen eingenommen war, ja sogar zeitweise verbot, dass sie bei männlichen Musiklehrern Unterricht bekamen. 1779 nimmt die "Accademia Filarmonica" zu Bologna sie als Mitglied ("compositore") auf; somit gehört sie mit Marianna Martines (ab 1773) zu den ersten und wenigen Frauen, die von dieser renommierten Musikergesellschaft aufgenommen wurden. Mozart erhielt 1770 14jährig die begehrte Mitgliedschaft. Außerdem erhält sie 1779 den Rang eines Magisters für Komposition bei der "Philarmonica Accademia" in Rom. Im Jahr 1780 erscheint eine zweite römische Schrift mit weiteren Sonetten und Gedichten usw. sowie Huldigungsbriefen der bekanntesten Persönlichkeiten der Zeit, unter ihnen Metastasio, "Padre" Martini und der Kastrat Broschi, genannt "Farinelli". Der vorangestellten "Elogio Storico della Signora Maria Rosa Coccia... tra i Forti di Roma Trevia" verdanken wir die hier mitgeteilten Einzelheiten ihres Werdegangs. Mallio vergleicht Coccia in Voraussagung ihrer Unsterblichkeit mit der Dichterin Sappho. Aber er macht auch Anspielungen auf Neider und Intriganten. Dies ist ein Anhaltspunkt dafür, warum Coccia in MGG (nur) als Auslöserin einer Kontroverse zwischen führenden römischen Komponisten erwähnt ist. Ein eigener Artikel ist ihr in MGG nicht gewidmet; in der übrigen lexikalischen Literatur ist sie verhältnismäßig häufig vertreten, wenngleich Lebensdaten und Werktitel z.T. unrichtig wiedergegeben sind. Es stellt sich die Frage, warum die Coccia als Komponistin bei soviel Begabung und glänzendem Erfolg nicht "überdauerte", was immer das auch bedeutet. Die Briefe der Zeitgenossen zeigen deutlich, daß ihre Kunst überall Bewunderung erregte, aber es ist auch herauszuhören, dass ihr ein einflussreiches Wirken oder Betätigungsfeld nicht beschieden war. Dass sie ein "unglückliches Leben" zugebracht habe, ist zu befürchten. Offenbar war die Komponistin auch Mitglied der literarischen Gesellschaft "i Forti", einer vorübergehenden Abspaltung aus der berühmten "Accademia dell` Arcadi" . Auch Wilhelmine, Markgräfin von Bayreuth, die sächsische Kurfürstin Maria Antonia Walpurgis und Goethe waren Mitglieder ("Arkadier") dieser damals größten literarischen Gesellschaft in Italien, die sich insbesondere auch dem Opernlibretto widmete. Coccia schrieb viel Kirchenmusik, sowohl im strengen Kirchenstil, der in Rom besonderes Gewicht hatte, wozu Dixit Dominus gehört, als auch im "stile concertato", dem Oratorienstil. Auch weltliche Kompositionen von ihr sind überliefert. Die Widmungsträger derselben sind wichtige europäische Persönlichkeiten und bestätigen, dass sie nicht hauptsächlich im kirchlichen Bereich tätig war. Ihr Gesamtwerk dürfte beträchtlich gewesen sein, denn sie hat ihr Leben komponierend und unterrichtend zugebracht ("componendo ed ammaestrando"), wie sie selbst schrieb, und ernährte davon auch Eltern und Geschwister. Der Verbleib der meisten Kompositionen ist heute unbekannt. Irene Hegen |
Letzte Änderung am 1. Mai 2004