Aulis Sallinen (geb. 1935)
Barabbas dialogeja
(Barabbas-Dialoge)
Allgemeine Angaben zum Oratorium:
Titel: |
Barabbas dialogeja |
Titel : |
Barabbas-Dialoge |
Titel : |
Barabbas Dialogues |
Anlass: |
Auftragswerk für das Naantali Musikfestival |
Entstehungszeit: |
2002-03 |
Besetzung: |
5 Soli, Erzähler und 7 Instrumente (Klavier, Violine, Violoncello, Flöte, Klarinette, Akkordion, Percussion) |
Spieldauer: |
ca. 60 Minuten |
Erstdruck: |
London: Novello, 2003 |
Bemerkung: |
Das kleine Instrumentalensemble passt sich dem besinnlichen, teilweise auch recht dramatischen Text einfallsreich und harmonisch an. Die Schönheit der kammermusikalischen Kostbarkeit erschließt sich erst nach mehrmaligem Hören. Extreme Klangwelten bleiben ausgespart.
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Opus: |
op. 84
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Zum Oratorium:
Art: |
Kammer-Oratorium für fünf Sänger, einen Erzähler und sieben Spieler |
Libretto: |
Lassi Nummi und Aulis Sallinen nach Texten der Bibel |
Sprache: |
finnisch |
Ort: |
Jerusalem |
Zeit: |
zu Beginn unserer Zeitrechnung |
Personen:
Barabbas: |
(Bariton) |
Die Frau: |
(Mezzosopran) |
Judas: |
(Bassbariton) |
Das Mädchen: |
(Sopran) |
Der Jüngling: |
(Tenor) |
Einer der zwölf: |
(Erzähler) |
Handlung:
ERSTER DIALOG - NOTTURNO
Der Komponist setzt seinem Werk Verse des Dichters Lassi Nummi voran, die zwar hochpoetisch sind, aber wenig Gegenständliches zum Inhalt zu sagen haben. Auf diese Weise gelingt es aber, das Geschehen um die Freilassung des Rebellen und Mörders Barabbas ein wenig zu strecken, denn die biblische Überlieferung ist dürftig. Die Lebensgefährtin des Barabbas - Bar Abbas wäre die aramäische Form des Namens - beginnt mit dem ersten Dialog:
„Irgendwo lauscht irgendwer, gestimmt von Furcht.
Irgendwer hört jedes Rauschen in der Nacht,
in der schwarzen Nacht.
Wacht jetzt nicht auf! Wacht noch nicht auf!
Im schwarzen Raum der Zeit, tausend Galaxien
voneinander getrennt,
nähern wir uns einander mit Lichtgeschwindigkeit.“
Beide unterhalten sich über den Begriff der Jugend, über Glück und Zärtlichkeit, über das Schweigen und über den Klang, der die Stille und die Ewigkeit füllt. Alles klingt!
ZWEITER DIALOG - OSTERN I
Das Äquivalent zur Psyche des Barabbas ist Judas, der sich darüber beklagt, gegen seinen Willen zur Rolle des Verräters verdammt worden zu sein. Noch bleibt er poetisch und benutzt Worte Hiobs, die dem Komponisten gefallen haben. Doch die Zeit auf Erden eilt schneller, rascher als ein Läufer läuft. Seine Tage auf Erden fliehen ihn. Er sieht nichts Gutes und kein Glück. Sie fahren dahin wie Schiffe, ein Boot nach dem anderen stürzt hinab wie die Adler auf ihre Beute.
Einer der zwölf bezieht sich auf die Apostelgeschichte und wirft ein, dass sich die Schrift durch diesen Menschen erfüllt habe.
Judas ist verzweifelt, denn wenn er sich sagt, dass er seine Klage vergessen und seine Trauer fahren lassen will und ein Lächeln aufsetzt, fürchtet er bald all seine Schmerzen, weil er weiß, dass Gott ihn nicht unschuldig sein lässt. Warum soll er sich vergeblich bemühen, wo er doch genau weiß, dass er immer für schuldig befunden wird? Der Schöpfer ist kein Mensch wie er es ist, deshalb kann er auch nicht menschlich sein wie er. Judas weiß nicht, wo er Gerechtigkeit suchen soll, weil er auf sein Urteil nicht antworten kann. Er sieht keine Chance einer Verteidigung.
Einer der zwölf glaubt, eine Antwort zu haben. Es musste ganz einfach die Schrift erfüllt werden, die zuvor gesagt habe, dass Judas der Anführer derer zu sein habe, die Jesus fingen. Diese Position hat der Widerspenstige zu übernehmen, weil die göttliche Vorsehung ihn in das Rollenspiel aller so eingebettet hat.
DRITTER DIALOG - OSTERN II
Das Donnern, weit über ihm, stellt Barabbas fest, hat sich beruhigt. Es ist kaum zu glauben, doch er weiß: auf den Märkten, in den Häusern, auf verschlungenen Wegen und Straßen geht das Leben weiter. Seine Gefährten missachteten und verließen ihn. Bei seiner Gefangennahme ließen sie ihn fallen.
Einer der zwölf berichtet, dass der Landpfleger vorschlug, den Juden zum Osterfest einen Gefangenen freizugeben. Das Volk durfte selbst wählen. Sie erkoren einen Aufrührer und Mörder namens Barabbas.
Auf den Verzweifelten wirkt diese Erkenntnis beruhigend und er lobt die Treue der Frau, welche zu ihm gehalten hat. Sie war seine Wärme und sein Licht in der Dunkelheit, nachdem er wieder freigekommen war.
Seinen Platz als Verurteilter nahm Jesus von Nazareth ein. Der Landpfleger übergab ihn der Willkür des Pöbels, berichtet einer der zwölf. Jener wurde ins Gefängnis geworfen und der Inhaftierte freigelassen.
Barabbas konnte seine Augen nicht abwenden, als er sah, was geschehen war. Verborgen im Schatten des Olivenhains sah er der Kreuzigung des Gefolterten auf dem Kalvarienberg zu. Genau so gut hätte er es sein können, dort zu hängen. Der Beobachter sah, wie die Gefährten des Gerichteten große Todesfurcht erfüllte. Der Freigelassene hatte von allem genug! Er selbst hatte immer gegen die Macht Roms gekämpft. Barabbas verließ den Platz und trank einen Becher Wein nach dem anderen.
VIERTER DIALOG - OSTERN III
Judas fühlt sich von Gott verraten und führt bittere Klage. Sein Schicksal sei ihm von Anfang an vorherbestimmt gewesen und er habe keine Chance gehabt, daran etwas zu ändern. Ihm blieb nichts anderes, als den Dingen ihren Lauf zu lassen, und Betrübnis herrscht nun in seiner Seele. Sein Körper sei aus Erde und Lehm geschaffen worden. Der Schöpfer habe ihm gewährt, auf dieser Erde leben zu dürfen - sein Umfeld wurde ihm zugeteilt. Liebe habe er anfangs bekommen und sein Geist sei vor Schaden bewahrt geblieben.
Aber was er tatsächlich mit ihm im Sinne hatte, hat der Herr vor ihm verborgen gehalten. Nun sind die kurzen Tage seines Lebens gezählt und bald vorbei. Müde ist er, und das Leben ärgert ihn. Die Ursache, weshalb er in Ungnade gefallen ist und sein Schicksal sich gewandelt hat, kennt er nicht. Judas bittet, dass der Herr von ihm ablassen und ihm ein wenig Tröstung gewährt werde, bevor er sich endgültig in das Land verabschiedet, in dem alles finster ist.
FÜNFTER DIALOG - PAS DE DEUX
Der Komponist wendet sich nun, da zur Sache eigentlich alles gesagt ist, dem Hohelied Salomos zu. Das Mädchen fordert den Nordwind auf, zu kommen. Auch der Südwind soll durch ihren Garten wehen. Der Freund ist eingeladen, von den edlen Früchten zu kosten. Der Jüngling hat ähnliche Wünsche an die Winde. Er will endlich Myrrhen und Balsam riechen. Er möchte den Wein probieren und Milch trinken. Die Geliebte sei in seinen Augen so wertvoll wie die Stute des Pharaos und ihre Augen seinen so schön wie die einer Taube. Die Angebetete widerspricht, sie sei entweder die Rose zu Saron oder eine Lilie im Tal. Die beiden geraten ins Schwärmen und jeder betont, wie lieblich der andere sei. Das Lager ist mit grünem Laub bestreut und Balken aus Zedern stützen ihre Wohnstatt, während die Zypressen das Dach bilden. Das Mädchen wiederholt, was es bereits gesagt hat. Er entgegnet, dass seine Freundin eine Lilie unter Dornen ist und meint damit, dass sie unter den Töchtern des Landes die Schönste sei.
Später erzählt sie, dass ihr Liebling sie in seinen Weinkeller geführt habe und dann sich als Schutzpanier über sie gelegt habe. Anschließend sei sie hungrig geworden und habe nach Trauben und reifen Äpfeln verlangt, denn sie sei krank vor Liebe. Das Mädchen beschwört die Töchter Jerusalems bei den Rehen und Hindinnen des Feldes, dass sie sich nicht lustvoll gebärden sollen, um ihre Sinne nicht unnötig zu reizen. Wenn ihr Freund und sie selbst schlafen, möchten sie nicht geweckt werden, weil sie von allein aufwachen wollen.
SECHSTER DIALOG - PASSACAGLIA
Die Frau versucht, durch ein philosophisches Gespräch des Barabbas Aufmerksamkeit zu erregen. Sie erklärt, dass der Prediger gesagt habe, dass alles eitel sei. Welchen Nutzen bringt es dem Menschen, wenn er zum Leiden geboren ist? Er belädt sich jeden Tag mit Mühe und Schmerzen. Über allem scheint die Sonne. Ein Geschlecht löst das andere ab, aber die Erde hat Bestand und bleibt ewiglich. Der Sonne Beschäftigung ist es, auf- und unterzugehen. Wenn sie damit fertig ist, läuft sie zu ihrem alten Platz und der Zirkus geht von vorn los. Barabbas bestätigt, dass die Sonne auf- und untergeht, aber dazwischen sei es hell und man kann leben. Das Leben selbst kommt zu einem.
Das Mädchen bittet den Jüngling, er solle sie wie ein Siegel auf sein Herz pressen und danach soll der Geliebte sie auf den Arm nehmen. Beide sind sich einig, dass die Liebe stark wie Eisen und stark wie der Tod ist. Hinzu kommt, dass sie sich eifersüchtig und unersättlich wie ein Friedhof verhält. Ihre Blitze seien Feuerblitze und ihre Flammen die Flammen des Himmels. Das viele Wasser soll die Liebe nicht auslöschen und die Ströme sie nicht ertränken.
Helligkeit ist das Resultat, welches das Licht spendet. Als Kontrast gibt es die Dunkelheit. Der Schoß und das Grab sind beide dunkel. Fürchtet sich Barabbas vor dem Tode? Weniger den Tod fürchtet er als die Unsterblichkeit. Ihm wäre es am Liebsten, wenn seine Reise in die ewige Nacht der sanften Dunkelheit führt - in die gnädige Leere und das Vergessen.
Barabbas und seine Gefährtin sind sich einig, dass in der Begrenztheit des Lebens seine Schönheit liegt.
Schönheit liegt auch in seinen Wohltaten, seinen zärtlichen Gedanken und in der Beständigkeit der Tugend. Durch eine leise glühende Vase aus Alabaster ist die Göttlichkeit der Götter aller Menschen aller Zeiten zu erkennen.
SIEBTER DIALOG - FINALE
Ein Gedicht von Lassi Nummi leitet das Finale ein. Einer der zwölf leiht ihm seine Stimme
„Eine große, liebliche Melancholie:
ich habe schon alles.
Und so, wie ich es sehe,
auch das innere Gefühl für das, was vergeht.
Ich bin schon leicht,
bin ganz nutzlos geworden.
Eins fehlt noch
in dem bis zum Rand gefüllten
Kelch der Demut,
ein Tropfen:
mein eigener Tod, der Tod selbst.“
Alle sehen den Strom des Lebens von der Geburt bis zum unvermeidlichen Tod fließen. Barabbas wendet sich an die Zedern, die sich auf den Bergen des Libanons erheben, dass sie ihm sagen, ob es jenseits dieser Welt, die wir sehen können, etwas Unsichtbares, Großes, Stilles und Geheimes gibt.
Die Frau weiß zu berichten, dass ER kam, um sie zu suchen und zu finden. Das Königreich ist nahe, denn es sei in euch. ER, der auf dieser Erde wandelte, ginge in unserer Mitte und sagte: „Es ist in Euch“. Alle wiederholen diesen Satz.
Judas verkündet, dass ER, der die Gestalt eines Dieners annahm und verspottet, verhöhnt und gekreuzigt wurde, sagte: „Meinen Frieden gebe ich Euch.“
Letzte Änderung am 26. April 2010
Beitrag von Engelbert Hellen